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Bridgekamera / Bridgecam

2019 © Thomas Gade

Was ist eine Bridgecam und wer braucht sie?

Vor knapp zehn Jahren stellte ich diese Frage schon einmal und hatte dazu mehrere Seiten veröffentlicht. Inzwischen hat sich die Technik zur digitalen Fotografie erheblich weiter entwickelt und erlaubt eine neue Betrachtung der Bridgecam.

Neben Smartphones und Actioncams, sind die meisten anderen Digitalkameras grundsätzlich in drei Typen einzuteilen. Kompaktkameras in der Größe eines Kartenspiels haben Zoomobjektive, die beim Einschalten der Kamera aus dem Gehäuse fahren und kleine Bildsensoren. Ihnen gegenüber stehen Systemkameras mit größeren Sensoren, schnellerem Autofokus, Wechselobjektiven und weiterem Zubehör für jede Aufnahmesituation.

Die Bridgekamera bildet eine eigene Klasse zwischen der Kompakt- und Systemkamera. Die höherwertigen sehen aus wie DSLRs. Das fest eingebaute Zoomobjektiv der Bridgekamera hat einen größeren Brennweitenbereich als in zeitgleichen digitalen Kompaktkameras. Ein Objektivwechsel ist weder möglich noch nötig, um vom Weitwinkel bis zum Tele einen weiten Bereich abzudecken. Außerdem muss dieses Objektiv nicht so konstruiert werden, dass es nach dem Ausschalten in das Kameragehäuse einfährt. Es kann robuster, größer und lichtstärker gebaut sein. In den meisten Bridgekameras steckt ein kleiner Sensor wie in Kompaktkameras. Als Standard gilt heute der 1/2.3" Sensor mit 6,2 x 4,6 mm. Eine gute Bridgekamera hat einen elektronischen Sucher, sodass man nicht nur auf das rückwärtige Display angewiesen ist.


Bridgecam Sony RX10 IV mit 1" Sensor auf einem Stativ von Sirui. Sie sieht aus wie eine DSLR, aber das Objektiv ist fest angebaut.

Ähnliche Fähigkeiten bei modernen Kompaktkameras und Bridgecams

Die Entwicklungen im Kamerabau schwächen diese Unterscheidungen jedoch ab. Was in der Vergangenheit als außergewöhnlich großer Brennweitenbereich galt, wurde später zum Standard und wird heute von noch stärkeren Zoomfaktoren übertroffen. Ähnliche Verschiebungen finden auch auf anderen Gebieten statt.

Die Kamerahersteller bauten zunächst Kompaktkameras mit Zoomfaktoren zwischen 3 bis 4x. Um 2007 setzte ein allgemeiner Wettlauf um immer größere Brennweitenbereiche ein. Die Lumix DMC-TZ10 von Panasonic aus 2010 bot einen 12x Zoom. Die spätere Lumix DMC-TZ31 (2012 - 2014) wurde auf 20x ausgebaut und die aktuelle DC-TZ91 hat ein 30x Zoomobjektiv mit kleinbildäquivalenten 24 - 720 mm Brennweite. Sie verfügt sogar über einen elektronischen Sucher mit Dioptrienausgleich. Eine Bildstabilisierung hat mittlerweile jede bessere Kompaktkamera. Sie ist zum Filmen und Fotografieren inzwischen ähnlich ausgestattet wie die Bridgekamera.

Eine weitere Verlängerung des Zoombereichs für stärkere Telewirkungen ist nahezu sinnlos, weil ungünstige Sichtbedingungen die Freude für Fernaufnahmen oft schon ab 300 mm (kleinbildäquivalent) trüben und mehr als 1000 mm nur noch selten befriedigend zu nutzen sind. Außerdem muss der Autofokus wegen der geringen Schärfentiefe für lange Brennweiten besonders präzise arbeiten. Irgendwann stößt er an seine Grenzen und minimale Fehlstellungen gehen bereits zu Lasten der Schärfe. Deshalb sollte man wichtige Fotos mehrfach aufnehmen, um die schärfsten Bilder herauszusuchen und den Rest zu löschen.

Noch größerer Zoomfaktor?

Bedeuten die großen Zoombereiche der aktuellen Kompaktkameras das Aus für die Bridgekamera? Die Kamerahersteller möchten sich offenbar nicht von ihr trennen und streben deshalb entweder beim Objektivbau nach neuen Superlativen oder werten sie durch einen größeren Sensor auf. Auffallend ist die Nikon Coolpix P1000 (1000 €). Ihr 125x Zoom entspricht kleinbildäquivalent 24-3000mm. Sie wiegt 1,4 kg und ist größer als viele DSLRs. Mit einer Kompaktkamera ist sie keinesfalls zu verwechseln. Ihr extremes Zoomobjektiv lässt sich in der Größe und mit variabler anfänglicher Lichtstärke von 1:2,8 - 8 nur mit einem kleinen Sensor realisieren. In der Nikon Coopix P1000 steckt ein 1/2.3" Sensor mit 16 Megapixel.

Oder größerer Sensor?

Dagegen setzen Sony und Panasonic für ihre Premium Bridgekameras auf den etwa viermal so großen 1" Sensor (13,2 x 8,8 mm für KB) mit 20 Megapixel. Die Panasonic Lumix DMC-FZ2000 für rund 850 € verfügt über ein F2.8-4,5 / 16x Zoom von Leica mit 8,8 - 176 mm (24 - 480 mm für KB). Das Top-Modell von Sony, die RX10 IV (ca. 1700 €), hat ein F2.4 - 4 / 25x Zoom von Zeiss mit 8,8 - 220 mm (24 - 600mm für KB) Brennweite. Die Sony ist erheblich kleiner und leichter als die Nikon Coolpix P1000.


Sony RX10 IV Bridgecam

Rückt der 1" Sensor die Bridgekameras wieder deutlicher zwischen Kompakt- und Systemkameras? Nein, denn sowohl Sony als auch Panasonic haben Kompaktkameras mit 1" Sensoren. Die handliche Lumix DC-TZ202 ist mit einem 15x Zoom von Leica ausgestattet, das um etwa eine Blende lichtschwächer ist als das Zoom der Lumix DMC FZ1000. Der elektronische Sucher der Kompaktkamera Lumix DC-TZ202 ist mit 2,3 Millionen Bildpunkten richtig gut.

Im heutigen Kameramarkt unterscheiden sich Bridgekameras in punkto Leistung und Ausstattung somit nur noch geringfügig von den besseren Kompaktkameras. Bei der Wahl scheinen vielmehr subjektive und persönliche Faktoren eine Rolle zu spielen. Wer große Hände hat und etwas Handfestes zum Fotografieren benötigt, bevorzugt die größere und robuster wirkende Bridgekamera, während die kleiner gebaute Kompaktkamera andere Personenkreise anspricht. Für Filmemacher bietet eine gute Bridgekamera Anschlüsse für Kopfhörer und ein externes Mikrofon, die der Kompaktkamera fehlen.

Sensorgröße und Bildqualität

Die Sensorgröße ist ein wichtiger Faktor für die erzielbare Bildqualität. Beim Vergleich etwa zeitgleich produzierter Sensoren gilt, je größer desto besser. Das 1" Format bietet eine höhere Bildqualität als kleinere Sensoren, unterliegt aber beim Vergleich mit MFT bis Vollformat und darüber. Allerdings bieten auch kleine Aufnahmeformate unter guten Lichtbedingungen eine hohe Bildqualität. Dies dürfte vor allem den Erfolgen der Smartphonehersteller zu verdanken sein, die nur kleine Sensoren verbauen können, welche die steigenden fotografischen Ansprüche der Smartphone Nutzer erfüllen müssen. Die Bildqualität ist eines der wichtigsten Verkaufsargumente für Smartphones. Die Schwächen kleinerer Sensoren gegenüber größeren offenbaren sich oft erst beim Einstellen höherer ISO Werte für sehr kurze Belichtungszeiten oder um mit wenig Licht auszukommen.

Je größer der Sensor, desto kleiner der Zoombereich

Der 1" Sensor ist jedoch größer, aber immer noch klein genug, um Zoomobjektive mit großem Brennweitenbereich und hoher Lichtstärke einigermaßen kompakt zu bauen. Er ermöglicht jedoch nicht mehr so extreme Brennweiten wie der kleine 1/2.3" Sensor in der Nikon Coolpix P1000. Reichen kleinbildäquivalent 600 mm mit einem 1" Sensor oder zieht man 3000 mm mit dem kleineren 1/2.3" Sensor vor? Die Entscheidung muss man selber treffen. Unter guten Sichtbedingungen kann die sehr lange Brennweite faszinierend sein, aber der kleine Sensor kostet Bildqualität. Wer höhere Ansprüche an die Bilder stellt, zieht den 1" Sensor vor, der sich noch gut mit dem Superzoom-Konzept der Bridgecam verträgt. Ein noch größerer Sensor ist jedoch wohl nicht bei diesem Kameratyp zu erwarten.


Zoombereich der Sony RX10 IV. Kleinbildäquivalent von 24 bis 600 mm.

Was ist mit einer modernen Bridgekamera mit dem 1" Sensor heute machbar und wofür ist sie besonders geeignet? Diese Fragen beantwortete die Sony RX10 IV im Praxistest.

Weiterlesen: Praxistest mit der Sony RX10 IV



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